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Gluck: Demofoonte - Il Complesso Barocco, Alan Curtis

Brilliant Opera Collection: Gluck Demofoonte

Gluck: Demofoonte - Il Complesso Barocco, Alan Curtis

Alan Curtis' Vermächtnis


Label/Verlag: Brilliant classics

Alan Curtis' letzte Aufnahme macht den Hörer mit einer vergessenen, frühen Opera seria von Christoph Willibald Gluck bekannt.

Zu den Festivitäten um den 300. Geburtstag von Christoph Willibald Gluck gehörte 2014 auch die Wiederaufführung einer lange vergessenen Opera seria des Komponisten: 'Demofoonte' aus dem Jahr 1743 auf ein Libretto des berühmten und von Gluck verehrten Metastasio. Die Besonderheit dieser Ausgrabung lag aber vor allem darin, dass Glucks 'Demofoonte' noch in keiner gedruckten Ausgabe vorlag. Alle Nummern sind zwar erhalten geblieben, aber liegen verteilt in diversen Bibliotheken rund um den Globus. Die Rezitative gelten als verschollen.

Der Dirigent Alan Curtis hat all diese Quellen gesichtet und zusammengetragen, um eine spielbare Fassung der frühen Gluck-Oper zu erstellen. Die Rezitative komponierte Curtis im Stile Glucks nach auf Basis einer stark gerafften Textfassung aus Metastasios häufig vertontem Libretto. Das Ergebnis war 2014 in Wien im Rahmen einer konzertanten Aufführung live zu bestaunen, eine Studioeinspielung war an diese Einstudierung gekoppelt. Im November 2014 und im Mai 2015 ging Curtis mit seinem bewährten Il Complesso Barocco und den sieben Gesangsolistinnen und -solisten ins Studio. Zwei Monate nach der letzten Aufnahmesitzung starb Curtis.

Hürdenreiche Ausstattung

Es dauerte bis Ende 2020, dass diese letzte Aufnahme von Alan Curtis auf den Markt kommen konnte. Erstaunlicherweise ist dieser 'Demofoonte' auch nicht bei der Deutschen Grammophon oder einem ähnlich großen Label erschienen wie viele andere von Curtis‘ Raritäten-Einspielungen, sondern auf drei CDs bei Brilliant Classics – klangtechnisch tadellos und obendrein erfreulich preiswert. Was weniger erfreut, ist die hürdenreiche Ausstattung der CD-Box mit einem Beiheft einzig in englischer Sprache. Der umfangreiche Artikel beschäftigt sich mit der Entstehung des 'Demofoonte', geht dabei auch spannend ins Detail. Eine Inhaltsangabe, um wenigstens marginal zu erfahren, worum es in den drei Stunden Spieldauern gehen könnte, gibt es aber nicht. Ein Libretto kann online heruntergeladen werden. Das erschwert den Zugang erheblich.

'Demofoonte' ist eine waschechte Opera seria, vom Opernreformer Gluck ist noch nichts zu hören. Die Geschichte, die man sich im Netz zusammensuchen kann, hält die typischen Ränke, Verwechslungen, Opferungen, unglückliche Liebesgeschichten und überraschende Wendungen bereit. Demofoonte muss den Göttern eine junge Frau opfern und entscheidet sich für Dircea, die Tochter eines seiner Fürsten. Dass sein Sohn Timante heimlich mit Dircea verheiratet ist und mit ihr ein Kind hat, ahnt der Titelheld nicht; und sein Plan, Timante mit Creusa zu vermählen, ist ebenfalls eine schlechte Idee, weil sein anderer Sohn Cherinto ebendiese liebt. Am Ende stellt sich Dircea als Demofoontes Tochter heraus, Timante scheint nicht sein Sohn (was einen Inzest verhindert) und es gibt zwei glückliche Paare. All diese Turbulenzen nimmt Gluck zum Anlass für drei Stunden bezaubernde Musik zwischen melodischer Fülle und unterhaltsamer Virtuosität.

Hohes Niveau

Musikalisch ist die Einspielung auf hohem Niveau – wie immer bei Alan Curtis ist sein Ensemble handverlesen und gut aufeinander abgestimmt. Der Dirigent führt sein Complesso Barocco routiniert durch Glucks Partitur, behandelt die neuen Rezitative mit derselben Sorgfalt und Detailgenauigkeit wie die geschlossenen Nummern. Höchste Spannung und Energiegeladenheit schlagen dem Hörer zwar nicht entgegen, dafür ein stimmiger Gesamteindruck mit eindrücklichen Momenten. Die spanische Sopranistin Sylvia Schwartz gibt die Dircea mit charakteristischem Tremolo und einer gewissen Unterkühltheit. Ihr gelingen stilistisch beeindruckende Phrasen und perlende Läufe, aber das Timbre und Schwartz‘ spröder Ton sind in diesem Genre klare Geschmacksache. Der klangschöne Demofoonte von Colin Balzer hat außer einer kultiviert geführten lyrischen Tenorstimme wenig Greifbares zu bieten. Der Sänger verharrt so entschieden im Würdevollen und Royalen, dass seine Figur anämisch und nicht greifbar wirkt. Im zweiten Akt gäbe es durchaus Momente, in denen Balzer mutiger gestalten und färben könnte, er entscheidet sich aber für vokale Eleganz.

Faszinierend ist die Besetzung des Timante – einer Partie für Carestini –, die hier vom gerade einmal zwanzigjährigen Countertenor Aryeh Nussbaum Cohen interpretiert wird. Der junge Künstler pflegt einen erfreulich umsichtigen Umgang mit seinem ausnehmend schönen Stimmmaterial. Die Jugend klingt unmittelbar aus jeder Note, alles ist von einer feinen Melancholie überschattet. Nussbaum Cohens Gesang ist gewiss nicht fulminant oder hoch virtuos, aber es überzeugt, dass er sich diese (letztlich auch notwendigen) Qualitäten hier nicht gewaltsam abringt, sondern mit seinen übrigen Stärken punktet: den zart gesponnenen Linien, den langsam aufblühenden Tönen, dem dunklen Samt in der Höhe, der Aufrichtigkeit seines Gesangs. Hoffentlich hat diese Karriere genügend Zeit, sich zu entwickeln.

Verve und Theatralik

Ab der zweiten Hälfte des ersten Aktes beginnt die Einspielung erst richtig – hier treten Ann Hallenberg als Creusa und Romina Basso als Cherinto auf den Plan. Beide Sängerinnen legen die Latte deutlich höher und zeigen, was Verve und Theatralik in einer Opera seria sein können. Bassos Stimme besitzt maskuline Herbheit und einen leuchtenden Kern, ihre Koloratursicherheit ist organisch in die Ausdruckspalette gefügt. Gleiches gilt für Ann Hallenberg mit ihrer enormen Agilität, der feurigen Höhe, der warmen Tiefe und einer Expressivität, die alle Register zu ziehen versteht und dadurch einen wirklich vielschichtigen Menschen auf die akustische Bühne stellt. Hallenbergs Nummern sind allesamt Showstopper und Höhepunkte der Aufnahme.

Vittorio Prato komplettiert als edel besetzter Matusio mit schlanker, druckfreier Stimmführung und attraktiven Timbre die Besetzung, die auch eine vokal eigenwilligen Adrasto von Nerea Berraondo mit wenigen Einsätzen zu verzeichnen hat. Alles in allem ist dieser 'Demofoonte' einen heimischen Opernabend wert.

 

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:



Kritik von Benjamin Künzel, 02.02.2021