Brilliant Classics bringt eine Sammlung mit geistlicher russischer Chormusik a cappella.
Zweifellos wir die Chormusik von Dmitrij Bortnjanskij (1751-1825) als typisch russisch wahrgenommen, doch tatsächlich hat sie mit der orthodoxen Tradition wenig zu tun, vielmehr orientierte sich der Komponist eher an klassisch westlicher Stilistik. Von Tschaikowskij wurde er dafür hart kritisiert, und noch härter fiel dessen Urteil über seine Kollegen Stepan Degtjarew und Artemij Wedel aus. Genau die Komponisten, die auf der ersten von sechs bei Brilliant Classics erschienenen CDs mit russischer Chormusik zu hören sind.
Es handelt sich um eine jener typischen, thematisch zusammengestellten Brilliant-Boxen mit bereits in der Vergangenheit veröffentlichten Aufnahmen, an denen verschiedene Interpreten beteiligt sind und deren Interpretationen daher oft auf sehr unterschiedlichem Niveau stehen. Allerdings ist hier die Spanne nicht ganz so groß wie in einigen anderen Fällen, es sind insgesamt nur vier russische und ukrainische Chöre beteiligt, und die Aufnahmen entstanden alle zwischen 1990 und 2001. Technisch gesehen sind die Leistungen nicht immer perfekt, doch grundsätzlich erfüllen alle Chöre die Erwartungen an einen vollen, kräftigen Chorklang. Den größten Kritikpunkt stellt wohl die Akustik der Aufnahmen dar. Vier der Platten, gesungen vom Yurlov Academic Choir unter Stanislav Gusev, dem Rybin-Männerchor unter Valery Rybin und dem 'Orthodox Singers' Männerchor unter Georgy Smirnov sind in Filmstudios bzw. dem Moskauer Konservatorium aufgenommen. Der Klang dort ist zwar nicht völlig stumpf, aber doch deutlich trockener als in einer großen Kirche, deren Akustik zu dieser Musik besser passen würde.
Magische Stimmung
Die Aufnahmen mit dem Nationalen Akademischen Chor der Ukraine 'Dumka' unter Yevhen Savchuk aus der Kiewer Kathedrale wiederum sind klanglich auch nicht ganz optimal, da alles andere als transparent, der Text aufgrund der quasi völligen Abwesenheit vernehmbarer Konsonanten beinahe komplett unverständlich. Doch der Wirkung tut das kaum einen Abbruch, eindrucksvoll sind diese Interpretationen durch die schon magische Stimmung, die durch teils extrem breite Tempi und durch ein unglaublich zartes Pianissimo hervorgerufen wird, dem immer wieder ein ungemein wuchtiges Fortissimo gegenüber steht.
Das betrifft zwei der großen, zentralen Werke russischer Chormusik, nämlich Tschaikowskijs Version der 'Liturgie des heiligen Johannes Chrysostomos' op. 41 und Rachmaninows 'Vesper' op. 37, die in solch einer Kollektion nicht unbedingt zu erwarten sind. In Rachmaninows 'Vesper' birgt die Sammlung im ohnehin fast überirdisch schönen zweiten Satz einen sehr besonderen Leckerbissen: Eine außergewöhnliche Solostimme, bei der man hörend kaum sagen könnte, ob sie nun einer Altistin oder einem Tenor gehört. Von der Lage her wäre auch beides möglich, Rachmaninow hat aber eine Altistin vorgesehen. Kurioserweise wird im Beiheft keine Altsolistin benannt, stattdessen zwei Tenöre und eine Sopranistin. Nun gibt es in der 'Vesper' kein Sopransolo, vielleicht gehört die ausdrucksstarke Stimme also Olga Borusene. Brilliant ist nicht schuld an dieser Konfusion, eine frühere Veröffentlichung dieser Aufnahme beim Label Regis nennt ebenfalls zwei Tenöre und eine Sopranistin, doch man hätte dieses Mysterium vielleicht klären sollen.
Die verbleibenden vier, wie erwähnt akustisch eher trockenen CDs sind angenehmerweise thematisch vorsortiert: Eine Platte mit geistlichen Chören des 18. Jahrhunderts, zwei mit Moskauer Komponisten des späten 19. und des 20. Jahrhunderts, eine mit geistlichen Männerchören und Mezzosopran. Letztlich gibt es allerdings thematische Überschneidungen, denn für Männerchor sind auch die Werke der beiden Moskauer Platten, und Solisten sind hier ebenfalls in einigen Fällen beteiligt. Die 'Hymne der Cherubim' von Nikolai Golowanow ist sogar in zwei verschiedenen Aufnahmen in beiden Kategorien vorhanden. Diese Hymne gehört zu Golowanows 'Sechs Gesängen' op. 1, in denen, wie auch in einigen anderen Werken der Sammlung, der orthodoxe Gesang mit der damals aktuellen, expressiven Harmonik des frühen 20. Jahrhunderts vermählt wird: Selten zu hören, aber ausgesprochen spannend. Ebenso selten zu hören und ebenso spannend ist ein weiterer Zyklus, nämlich Nikolai Karetnikows 'Acht geistliche Chöre zum Gedenken an Boris Pasternak', die eine Symbiose der Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit orthodoxen Gesängen repräsentieren und hier unter der Leitung des Komponisten zu hören sind.
Bei anderen Werken ist mit der Mezzosopranistin Irina Archipowa eine bekannte russische Opernsängerin als Solistin dabei, eine sehr große, kräftige Stimme, was wiederum zu sehr expressiven Resultaten führt.